World Café auf dem eScience Netzwerktag: Perspektiven und Diskussionen rund um „Digitale Bildung“

Am 18.12. fand in den Räumlichekeiten der DIU in Dresden der eScience Netzwerktag statt. Nach der Keynote kamen die Teilnehmenden zur lockeren Worldcafé-Diskussionsrunde zusammen.

Einer der Themen rankte sich um Fragen der digitalen Bildung. Im Vorfeld der Diskussion trugen die Teilnehmenden Fragen und Impulse zur Entwicklung und den Auswirkungen des medial unterstützten Lehrens und Lernens zusammen. Diese seien hier kurz zusammengefasst:

  • Wie integriere ich E-Learning/digitaler Bildung in den Vorlesungsalltag?
  • Wird „inverted Learning“ an sächsischen Hochschulen praktiziert? Wenn ja, wie?
  • Welche Chancen und Risiken entstehen durch das „Sharing“ von Inhalten? Ist es denkbar und sinnvoll Inhalte für „alle“ bereitzustellen/zu veröffentlichen? Welche Barrieren sind zu überwinden?
  • Wie kann die Ausbildung und Weiterbildung von Führungskräften mit OER (bereits während der Schulzeit, während des Studiums, im Job) funktionieren? Welche Probleme sind dabei wie zu bewältigen?
  • Wie können mit digitaler Bildung Brücken zwischen der schulischen und universitären Ausbildung geschaffen werden? Welche Unterstützungspotenziale lassen sich auf beiden Seiten nutzen? (Stichwort: Studienvorbereitung/voruniversitäre Bildung)
  • Gibt es Vermarktungskonzepte von MOOCs in der Hochschullandschaft?

Nach dem bewährten Worldcafé-Prinzip wurde in dreimal 20 min diskutiert. Zu Anfang wurde die sich verändernde Rolle des Lehrenden als „Guide“ oder „Coach“ thematisiert, dessen Herausforderung im Kontext der digitalen Bildung nicht mehr vorrangig in der Wissensvermittlung liegt, sondern ihn neben seiner Funktionen als Pädagoge und Fachexperte auch als Designer (von E-Learning-Arrangements) und Programmierer (von Lernprogrammen oder Lernplattformen) fordern. Dabei verliert der Leitspruch von Pestalozzi des Lernens mit Herz, Hirn und Hand auch im digitalen Wandel von Bildung und Lehre nicht an Bedeutung. Als Lehrender ist man auf den vier Handlungsfeldern Pädagogik, Fachexpertise, Programmierung und Instruktionsdesign als LernbegleiterIn gefordert, was nicht nur mediendidaktische Kompetenzen voraussetzt, sondern auch einen erheblichen Zeitaufwand bedeutet. In der Runde fielen Zahlen: Eine Stunde E-Learning kostet durchschnittlich 164 Stunden Erstellungszeit, eine Stunde PowerPoint-Präsentation dagegen „nur“ 60 Stunden. Dies führte die Runde zur nächsten Frage: Wie lässt sich digitales Lernen in den strukturierten und systemisch reglementierten (durch Akkreditierungen, Lehrdeputate und Lehrpläne) Schul- und Vorlesungsalltag integrieren? Sind MOOCs die Lösung? Lassen sich so einmal produzierte Vorlesungen über mehrere Semester nachnutzen? Wie kann gewährleitet werden, dass diese Angebote für eine heterogene Zielgruppe aus SchülerInnen, Studierenden und Weiterbildungsinteressierten angepasst sind? An dieser Stelle konnten die Problemstellungen konkretisiert werden, eine Lösung auf diese komplexen Fragen ist allerdings nicht pauschal zu formulieren. Ebenso schwierig zu beantworten, ist die Frage der Lernwirksamkeit von E-Learning oder digital unterstützter Lehre. Eine interessante Anekdote konnte ein Teilnehmer erzählen: Ein Kollege an der Hochschule teilte seine Studierendenschaft und vermittelte der einen Gruppe die Inhalte in einer Vorlesung und der anderen Gruppe mittels eines Lernprogrammes. Eine Probeklausur zeigte, dass diejenigen, die das Lernprogramm nutzten wesentlich schlechter abschnitten, als diejenigen, die face2face lernten. Da verschiedene Einflussfaktoren dieser kleinen Studie natürlich nicht ausgeschalten werden, in Bildungsprozessen zu keiner Zeit Laborbedingungen hergestellt werden können, sowie die Vielschichtigkeit digitaler Lernprozesse unüberblickbar ist, ist die Übertragbarkeit der Studie nicht auf Lehr-Lern-Szenarien im Allgemeinen möglich. Doch dieses Beispiel sorgte für Zustimmung in der Runde, dahingehend, dass reines Maschinenlernen bzw. schlechte E-Learning-Arrangements in jeden Fall weniger lernwirksam und vor allem weniger nachhaltig, als Präsenzlehre sind. Keiner der beteiligten Diskutanten stellte in Frage, dass Präsenzlehre als Ergänzung zum E-Learning unausweichlich ist.

Nach einem kurzen Ausflug zum Thema MOOCs, wo allerdings nicht weiter diskutiert wurde, kam das Thema „inverted learning“ bzw. „Flipped Classroom“ auf. Nachdem das Konzept kurz erklärt wurde, prominente Beispiele und Erfahrungen rezitiert wurden, konnten die Vorteile für den persönlichen Lehrbetrieb an der Hochschule aufgezählt werden: Vorlesungsvideos können jedes Semester wiederverwendet werden, in den Vorlesungszeiten bleibt Raum für Übung und Diskussion, der Aufwand für Dozierende sinkt nach der Produktion und es bleibt mehr Zeit für Konsultationen.

Den größten Raum in der Diskussion am Tisch nahmen die Open Educational Resources ein. Zum einen wurden die Faktoren für die Bereitstellung der Materialien thematisiert, zum anderen die Bereitschaft zur Nutzung diskutiert. Da finanzielle Anreize für die Erstellung und Bereitstellung der Materialien nicht geschaffen werden können, ist das einzige Motiv die eigene Reputation bzw. der soziale Anerkennung. (?) Vertreter aus dem Bereich Schule warfen die Frage auf, ob die Lehrerinnen und Lehrer überhaupt bereit sind, Materialien aus dem Internet für ihren Unterricht zu nutzen. Sind die Vorbehalte gegenüber „fremden“ Materialien aus dem Internet so hoch, dass nur Medien etablierter Schulbuchverlage verwendet werden? Welche Unterstützungsleistungen können wir anbieten, um die Bereitstellung und Nutzung von OER zu fördern? Auch auf diese komplexen Fragen konnten keine Antworten gegeben werden. Im Gegenteil, in der Runde mussten wir feststellen, dass die Barrieren nicht nur auf der persönlichen Ebene der Akteure zu finden sind, sondern auch mit der rechtlichen Situation zu erklären sind. Die Angst vor hohen Urheberrechtsstrafen ist weit verbreitet und hemmt die Bereitschaft eigens produzierte Medien – etwa mit Bildern aus Bilddatenbanken – im Netz anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen. Der Bezug zu sächsischen Bildungsangeboten konnte in der Diskussion auch noch hergestellt werden: Materialien, die auf OPAL oder Plattformen des LehrerInnenfortbildungsinstituts SBI zur Verfügung gestellt werden, sind (derzeit) in den seltensten Fällen öffentlich einsehbar. Zeitliche und rollenbezogene Beschränkungen verhindern das „reuse“, „remix“ oder „recreate“, das heißt, die Nachnutzbarkeit von OER.

Am Nachmittag des vorweihnachtlichen Netzwerktages wurden Themen – angelehnt an die Diskussionen am Vormittag – noch einmal aufgegriffen und bei Kaffee und Keksen in lockerer Runde beleuchtet. Das Thema OER war auch hier wieder präsent. Wir sind noch einmal gezielt auf die praktischen Probleme bei der Erstellung digitaler Bildungsmedien für die Öffentlichkeit eingegangen: Zeitmangel von Dozierenden an den (Hoch-)Schulen, Unsicherheit in Urheberrechtsfragen, zweifelhafte Umsetzbarkeit von Zielgruppenspezifizierung, Aktualität der Materialien, ….

Zusammenfassend ist vielleicht zu sagen, dass wir im Grunde mehr Probleme aufgeworfen und formuliert haben, als Lösungsansätze zu finden. Aber dennoch scheint es wichtig zu sein, für eine gewisse Sensibilität für dieses Thema zu sorgen und einfache Umsetzungsbeispiele vorzustellen. Vielleicht ist es so Stück für Stück möglich, das Thema OER aus dem Metier einiger weniger Idealisten in den sächsischen Lehralltag zu bewegen.

Über Andrea Gumpert

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